Förderung des demokratischen Staatswesens als gemeinnütziger Zweck und Prüfungstiefe bei Freistellungsbescheiden nach § 60a AO

Das Finanzgericht Berlin-Brandenburg hat entschieden, dass der Begriff der Förderung des demokratischen Staatswesens (§ 52 Abs. 2 Nr. 24 AO) sich aus grundrechtlich verbürgten Prinzipien, Rechten und Werten ableiten lassen muss. Dazu gehört insbesondere die Förderung der Ausübung der grundgesetzlich verbürgten Grundrechte, wie im Streitfall der Meinungsfreiheit, sowie die Förderung allgemeiner demokratischer Teilhabe, die sich aus dem Demokratieprinzip ergibt (vgl. auch die Parallelentscheidung 8 K 8198/22, über die wir gestern berichtet haben).

Ausgangspunkt dieses Rechtsstreits ist zugleich die Frage der Prüfungstiefe des § 60a Abs. 6 AO bei Versagung eines Freistellungsbescheides nach § 60a Abs. 1 AO. Hiernach kann ein Finanzamt einen Freistellungsbescheid versagen, wenn bis zum Zeitpunkt des Erlasses des erstmaligen Körperschaftsteuerbescheids oder Freistellungsbescheids bereits Erkenntnisse vorliegen, dass die tatsächliche Geschäftsführung gegen die satzungsmäßigen Voraussetzungen verstößt. Die Vorschrift wurde durch JStG 2020 eingeführt (BGBl. I 2020 S. 3096). Ausweislich der Gesetzesbegründung soll hierdurch die rechtsmissbräuchliche Verwendung des Feststellungsbescheids ausgeschlossen werden. In der Begründung wird ausdrücklich auf Missbrauchsfälle sog. extremistischer Organisationen verwiesen (Bundestags-Drucksache 19/25160, S. 204).

Der Kläger – ein nicht eingetragener Verein – betrieb auf einer Internetseite einen sog. Online-Blog, auf welchem Vereinsmitglieder und Gastautoren zu einem aktuellen Thema (i. w. S.) Beiträge veröffentlichten. Streitgegenstand war insoweit die Ablehnung des Erlasses eines Freistellungsbescheides, weil dem Beklagten bereits Erkenntnisse zur Tätigkeit des Klägers vorlagen, obgleich der Kläger noch keine Körperschaftsteuererklärungen nebst Tätigkeitsberichten vorgelegt hatte.

Das Gericht hat hier die Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH-Urteil vom 10. Januar 2019 – V R 60/17, BStBl II 2019 S. 301; sog. Attac-Rechtsprechung) bekräftigt. Eine Vereinigung zur Förderung der Volksbildung und des demokratischen Staatswesens muss in ihrer „politischen Bildung“ „geistig offen“ sein und darf gerade nicht das Ziel verfolgen, Lösungsvorschläge für Problemfelder der Tagespolitik durchzusetzen, denn eine steuerliche Gemeinnützigkeit stünde sonst im Konflikt mit den strengen Vorgaben des Grundgesetzes und des Bundesverfassungsgerichts zur Parteienfinanzierung. Der Kläger hat aber nach Überzeugung des Gerichts gerade konkrete Problemfelder der Tagespolitik entsprechend thematisiert. Die Förderung des demokratischen Staatswesens war höchstens Nebenfolge.

Das Gericht hat zudem entschieden, dass der Beklagte bei § 60a Abs. 6 AO nicht auf bestimmte Prüffelder beschränkt ist, sondern insbesondere auch Hinweise zu konkreten Tätigkeiten berücksichtigen kann. Allerdings führt nach Auffassung des Gerichts die Versagung des Feststellungsbescheids nicht zu einer abschließenden Entscheidung hinsichtlich der Freistellung, denn diese erfolgt allein im Veranlagungsverfahren und mündet in einem positiven Freistellungsbescheid nach § 155 Abs. 1 Satz 3 AO bzw. in einer Versagung eines solchen Bescheides. Der Regelungsgehalt des Ablehnungsbescheides betrifft nur die fehlende vorläufige Vertrauensschutzwirkung der gesonderten Feststellung der satzungsmäßigen Voraussetzungen.

Das Gericht hat die Revision zugelassen.

FG Berlin-Brandenburg, Pressemitteilung vom 16.01.2024 zum Urteil 8 K 8012/23 vom 14.11.2023

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